Baum, 2004, Öl und Acryl auf Leinwand, 120 x 120 cm

Wald III, 2004, Öl und Acryl auf Leinwand, 130 x 110 cm

Wald V, 2004, Öl und Acryl auf Leinwand, 180 x 180 cm

Wald VI, 2004, Öl und Acryl auf Leinwand, 120 x 120 cm

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Eine Baumkrone als schemenhafter Schattenriss von unten, dahinter das Blau des Himmels und weiße, vorbeiziehende Wolkenfetzen. Was auf den ersten Blick jedem Waldspaziergänger so vertraut ist - das Bild von Baum und Himmel - erweist sich auf den zweiten Blick als utopische Perspektive. Jene Waldbilder, welche romantische Lichtungen, bedrohliches Dickicht oder auch alarmierenden Kahlschlag zeigen, sind hier vergeblich zu suchen. Tobias Beckers Serie „Wald I - VI“ entzieht sich dem gewohnten Bild durch einen radikalen Perspektivwechsel. Die Baumkrone scheint, wie abgelöst von ihrem Stamm vor/über dem Betrachter zu schweben, nicht mehr dem Irdischen anzugehören. Der Versuch, Bäume ähnlich wie Wolken zu einem Sinnbild des Transzendenten zu machen, ist außergewöhnlich. Die erst fotorealistisch wirkende Malerei erweist sich beim genauen Hinsehen als beinahe grob auf die Leinwand aufgetragene Ölfarbe. So liegen diese Waldbilder zwischen den Polen von Illusion und Desillusion, zwischen Mimesis und Abstraktion und versuchen sich einer genauen Bestimmung zu enthalten.

Beckers spielerische Ambivalenz mit Perspektive und Raum erweist sich als konkrete Utopie. Konkrete Utopien sind wirkliche Orte, die im wesentlichen unwirkliche Räume darstellen. Diese Räume brechen mit der herkömmlichen Zeit. Das begrenzte Areal des dargestellten Waldausschnittes, wo Raum und Zeit rekonstruktiv und visionär-fiktiv verdichtet werden, ist ein utopischer, symbolischer Raum, jedes Bild für sich ein landschaftlicher Mikrokosmos. Eine Funktion dieser sogenannten „Heterotopien“ gegenüber dem verbleibenden Raum ist es, einen anderen Raum zu schaffen, der einer neuen Ordnung unterworfen wird. Dieser andere Raum bildet einen Gegensatz zur „wirklichen“ ungeordneten Welt. Heterotopien beunruhigen, denn sie lösen sich von einem fassbaren Ort und bilden die Grundlage für eine veränderte Wahrnehmung. So haben auch Beckers Bilder etwas verwirrend Unheimliches. Der Wald wird zu einem Nicht-Ort, der unbehaust, anonym und manipulativ auf den Betrachter wirkt. Die Bilder richten sich gegen eine Demagogie der Wahrnehmung, die nicht zuletzt in Bildern von (deutschen) Waldlandschaften zentrales Thema war. Dort wurden Landschaften konstruiert, die an ein bestimmtes Heimatgefühl gebunden waren. Die Bilder von schwebenden Baumkronen, die den Betrachterstandpunkt verwirren, spiegeln den Wald als einen Einsamkeitsort, machen ihn zu einem Zentrum einer "verkehrten Welt" und versuchen den Bildern des Waldes eine Freiheit zurückzugeben, welche unterschiedliche Wahrnehmungen zulässt.

Carolin Behrmann