Landpartie

Die Landschaft zu erfassen beschreibt eine Utopie, ein Komposit, ein Diorama, in dem jedes Ideal vermeintlich zum Greifen nahe ist. Diese Modellansichten treten dem Menschen entgegen, wenn er versucht, mehr als nur einen Ausschnitt abbilden zu wollen, der über das bloße Selbst hinausreicht und mit seinem Scheitern konfrontiert ist. Was tun? Er entwirft Bilder, Erzählungen weil er weiß, dass es ihm in diesem Zustand nicht gelingen wird, alles sehen, riechen, hören, schmecken, begreifen und erreichen zu können, wenn er einmal aus dem Vertrauten fortgegangen ist für ein besseres Leben. Das Bild einer Landschaft unterliegt auch den sozialen Herkünften derer, die das Bild entwerfen und kommunizieren wollen, sprich es ist geprägt durch ihre Sehnsucht. Handelt es sich dabei um das bildhafte Eingeständnis, dass der Aufbruch in die Industrialisierung uns Bilder bescherte, denen wir nicht glauben dürfen, weil sie das beschwören, was wir im Glauben an eine bessere Zukunft, leichtfertig aufgegeben haben und immer noch aufzugeben bereit sind? Vielleicht ist das ein Grund, warum es in Indien keine Landschaftsmalerei gibt.

Um nicht in diesen widerstreitenden Kräften, in dem Strudel der existierenden Erzählungen und Bilder zerrieben zu werden, einigten wir uns auf den kleinsten Nenner, das Vorgegebene, auf die Struktur des LKW-Aufbaus. Es liefert das Muster, eine Fassung, eine Orientierung gegen die Beliebigkeit, an das nicht Konkrete, um nicht im Schwung und Gegenschwung der Utopie verloren zu gehen. Landpartie ist der naive Versuch, zu zweit möglichst unmittelbar auf Situationen reagieren zu können. In diese gerieten wir ohne Absicht, einfach durch Bewegung, meistens nach ein paar hundert Metern schon: Das modulare System, reduziert auf den rechten Winkel, ist ein erster Versuch einer Bewältigung, einer sehr Deutschen: Ein fragiles Raster aus schwarz und weiß angemalten Dachlatten steht zwischen uns und der Landschaft, vergleichbar mit einem Spalier, das sich gerade selber trägt und schon beim leichtesten Lüftchen in sich zusammenbricht. Diesem Dachlattenkonstrukt überantworteten wir uns, in der Hoffnung, der Raster lenkt unsere Unsicherheit in die richtige Richtung, um vielleicht auf eine höhere Ästhetik zu stoßen, die keiner erwandern noch in der Summe seiner Fragmente als Entität begreifen kann. M.E.

Landpartie
Tobias Becker / Max Erbacher
November 2022

Landpartie ist ein Beitrag für das von Stefanie Klingemann initiierte Projekt MITEINANDerfahren. Ziel des Projekts ist es, mit Hilfe einer fahrenden Raumskulptur in deutschen Regionen abseits der Kunst- und Kulturmetropolen ortsspezifische Kunst- und Kulturangebote sowie teilhabeorientierte kunstlerische Produktion erfahrbar zu machen.